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Wirtschaftliche Erholung setzt sich fort, Lieferengpässe wirken dämpfend

Konjunkturelle Entwicklung in der Kernregion Ostschweiz Wirtschaftliche Erholung setzt sich fort, Lieferengpässe wirken dämpfend

15. November 2021 | Die Erholung der Ostschweizer Konjunktur hat sich im dritten Quartal 2021 erwartungsgemäss fortgesetzt und verlangsamt. Die aktuelle Geschäftslage ist über alle Branchen hinweg gut bis sehr gut und vor allem besser als vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Die Unternehmen bleiben zuversichtlich. Zunehmende Schwierigkeiten bei den Lieferketten und weiter steigende Einkaufspreise wirken allerdings dämpfend. Auf der anderen Seite führt die konjunkturelle Erholung zu einer weiteren Entspannung am Arbeitsmarkt. Die Unternehmen bekunden gar wieder vermehrt Mühe bei der Rekrutierung von Arbeitskräften.

Die gesamtwirtschaftliche Erholung in der Kernregion Ostschweiz hält mittlerweile seit über einem Jahr an. Das widerspiegelt sich unter anderem in der Entwicklung des Geschäftslageindikators, der sich im abgelaufenen Quartal auf hohem Niveau stabilisiert hat. «Eine hohe Nachfrage, gut gefüllte Auftragsbücher und eine sehr hohe Auslastung der Produktionskapazitäten sind Ausdruck dieser positiven Konjunkturentwicklung», sagt Beat Schiffhauer, Finanz- und Konjunkturexperte der St.Galler Kantonalbank (SGBK). «Ein Grossteil der Unternehmen geht davon aus, dass sich die Erholung weiter fortsetzen wird. Allerdings rechnen wir mit einer weiteren Verlangsamung», ergänzt Alessandro Sgro, Chefökonom der Industrie- und Handelskammer (IHK) St.Gallen-Appenzell. Das sei bei den Industrieunternehmen zum Beispiel bei der Erwartung zur zukünftigen Geschäftslage, den erwarteten Exporten oder den erwarteten Auftragsbeständen erkennbar. Die Industrieunternehmen sind trotzdem weiterhin gut unterwegs. Die Geschäftslage hat sich auf einem hohen Niveau stabilisiert. Der Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten ist zuletzt nochmals leicht gestiegen und hat ein neues Mehrjahreshoch erreicht.

Im Baugewerbe machen sich aufgrund der bevorstehenden Wintermonate saisonale Effekte bemerkbar. So dürfte sich die Bautätigkeit in den nächsten drei Monaten deutlich reduzieren, saisonbereinigt aber stabil entwickeln. Der Detailhandel hat sich im letzten Quartal erwartungsgemäss stabilisiert. Der mengenmässige Absatz stagniert auf einem hohen Niveau. «Nach den Lockdowns hat sich der Konsum-Aufholeffekt stark entfaltet. Nun beobachten wir gewisse Sättigungstendenzen sowie eine erneute Zunahme des grenzüberschreitenden Einkaufs», erläutert Beat Schiffhauer. Im vierten Quartal wird saisonbedingt mit einer verbesserten Geschäftslage gerechnet. «Im Detailhandel zeichnet sich zudem allmählich auch das Ausmass der strukturellen Verschiebung vom stationären hin zum Onlinehandel ab», ergänzt Alessandro Sgro. Die Pandemie hat das Einkaufsverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten demnach langfristig verändert.

Die wirtschaftliche Erholung dauert in der Kernregion Ostschweiz bereits über ein Jahr an 

Geschäftslageindikator und Stimmungsbarometer auf hohem Niveau stabilisiert (Ausführungen zu Methodik und Interpretation am Ende des Aritkels)

Steigende Preise und Lieferengpässe wirken dämpfend

Warenproduzierende und -vertreibende Unternehmen im Bereich der Industrie, des Baugewerbes, des Detail- und Grosshandels kämpfen weiter mit erheblichen Erschwernissen in der Vorprodukteversorgung. Diese Erschwernisse haben sich nochmals akzentuiert. «Nach den Lockdowns alle global vernetzten Produktions- und Logistikprozesse wieder hochzufahren, ist komplex und dürfte gerade bei dieser hohen Nachfrage nach Gütern auch noch einige Monate in Anspruch nehmen», ist Sgro überzeugt. Das zeigt sich in Form von Lieferzeiten, -engpässen und zum Teil gar Unterbrüchen.

Die anhaltend hohe Nachfrage und die Erschwernisse bei den Lieferketten werden zu weiter steigenden Einkaufpreisen führen. Ein Teil der Unternehmen wird die gestiegenen Einkaufspreise in Form höherer Verkaufspreise weitergeben. Kurzfristig führt diese Entwicklung zu höheren Inflationsraten. «Langfristig dürfte sich die Inflation aber dem Ziel der SNB entsprechend unterhalb von 2% stabilisieren», ist Beat Schiffhauer überzeugt.

Weitere Entspannung am Arbeitsmarkt, Fachkräftemangel akzentuiert sich

Die fortschreitende wirtschaftliche Erholung bringt eine weitere Entspannung am Arbeitsmarkt. «Der Personalbestand wird mehrheitlich als angemessen eingeschätzt», erklärt Alessandro Sgro. Nur das Baugewerbe beurteilt die Belegschaft als leicht zu klein. «Saisonbedingt wird der Personalbestand im Baugewerbe im aktuellen Quartal ohnehin reduziert», so Schiffhauer. Im Detailhandel wird – aufgrund der vom Weihnachtsgeschäft dominierten saisonalen Effekte – mit einer Erhöhung der Anzahl Beschäftigten gerechnet. In der Industrie ist in den nächsten drei Monaten trotz Hochkonjunktur mit keiner weiteren Erhöhung der Belegschaft zu rechnen. «Das liegt vor allem daran, dass die Unternehmen bereits jetzt Mühe bekunden, qualifiziertes Personal zu rekrutieren», erklärt Alessandro Sgro. Die positive konjunkturelle Entwicklung habe zwar zu einer Entspannung am Arbeitsmarkt geführt, aber den Fach- und Arbeitskräftemangel wieder deutlich akzentuiert. In der Industrie sind wieder über 25% der Ostschweizer Unternehmen von einem Arbeitskräftemangel betroffen. Im Baugewerbe sind es gar 41%.

Weitere Entspannung am Arbeitsmarkt

Im Durchschnitt schätzen die Unternehmen ihren Personalbestand als angemessen ein. 

Die Unternehmen des Detailhandels, des Baugewerbes und verarbeitenden Gewerbes werden monatlich befragt, wie sie die Zahl der Beschäftigten beurteilen. Die befragten Unternehmen können die Frage mit «zu hoch», «ausreichend» oder «zu niedrig» beantworten. Der Saldowert des gegenwärtigen Urteils zur Beschäftigung ist die Differenz der Prozentanteile der Antworten «zu hoch» und «zu niedrig». Ein Wert über Null deutet darauf hin, dass die Zahl der Beschäftigten gegenwärtig zu hoch ist, während ein Wert unter Null eine zu tiefe Belegschaft signalisiert.

 

Konjunkturboard Ostschweiz

Das Konjunkturboard Ostschweiz beurteilt quartalsweise die konjunkturelle Entwicklung der Ostschweizer Wirtschaft in den Hauptbranchen Industrie, Detailhandel, Dienstleistungen und Bau. Das Konjunkturboard setzt sich von Seiten der IHK St.Gallen-Appenzell aus Alessandro Sgro, Chefökonom IHK, Jan Riss, wissenschaftlicher Mitarbeiter IHK, von Seiten der St.Galler Kantonalbank aus Caroline Hilb Paraskevopoulos, Leiterin Anlagestrategie, und Analyse SGKB sowie Beat Schiffhauer, Senior Konjunktur- und Finanzexperte SGKB, zusammen. Die Ökonomin und die drei Ökonomen kommentieren quartalsweise die Konjunkturlage in der Ostschweiz und bringen diese in den nationalen und globalen Kontext. Ergänzt wird das Gremium um Jérôme Müggler, Direktor IHK Thurgau, sowie Karin Jung, Leiterin Amt für Wirtschaft des Kantons St.Gallen. Diese breite Kombination bündelt verschiedene Kompetenzen und ermöglicht eine ganzheitliche sowie konsistente Einschätzung zur konjunkturellen Entwicklung in der Region.

Die Resultate und Analysen der aktuellen Umfrage können auf der neuen Plattform www.konjunkturboard.ch abgerufen werden. Hier finden sich zudem Kontaktinformationen der jeweiligen Konjunkturboard-Mitglieder.

Konjunkturindizes für die Kernregion Ostschweiz

Um auf schnelle, aber präzise Art und Weise ein systematisches Bild über die Verfassung der Ostschweizer Wirtschaft zu erhalten, sind gesamtwirtschaftliche Konjunkturindizes zentral. Für die Kernregion Ostschweiz stehen zwei Indizes zur Verfügung: Geschäftslageindikator und Stimmungsbarometer.

Der Geschäftslageindikator basiert auf monatlichen oder quartalsweisen Unternehmensbefra­gungen der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich zur aktuellen Einschätzung der Geschäftslage. Dabei geben die befragten Unternehmen ihre Einschätzung mit «gut», «befriedigend» oder «schlecht» an. Der Saldowert zwischen «gut» und «schlecht» – also die Differenz der Prozentanteile – widerspiegelt die aktuelle Geschäftslage. Je höher dieser ist, desto besser schätzen die Unternehmen die aktuelle Geschäftslage ein. Die Aggregation der branchenspezifischen Beurteilung der Geschäftslage ergibt den Geschäftslageindikator.

Der Stimmungsbarometer ist ein breit angelegter Indikator, der die Stimmung in Unternehmen und privaten Haushalten misst und dient dazu, das BIP-Wachstum zu verfolgen. Ein Wert über 100 deutet auf eine überdurchschnittliche wirtschaftliche Einschätzung hin, während Werte unter 100 eine unterdurchschnittliche Einschätzung signalisieren. Der Stimmungsbarometer ist so standardisiert, dass er meistens zwischen 90 und 110 Punkten liegt.

Die beiden Indikatoren werden gemeinsam von der IHK St.Gallen-Appenzell und der St.Galler Kantonalbank erhoben. Sie werden mit der gleichen Methodik berechnet wie die gesamtschweizerischen Indikatoren der KOF.

Die jeweiligen Konjunkturindizes können auf www.konjunkturboard.ch abgerufen werden. Sie werden monatlich aktualisiert.