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Grosse Unsicherheiten belasten Ostschweizer Wirtschaft

Konjunkturelle Entwicklung in der Kernregion Ostschweiz Grosse Unsicherheiten belasten Ostschweizer Wirtschaft

16. Februar 2021 | Die Konjunkturlage hat sich gegen Ende 2020 stabilisiert, doch bleiben die Aussichten für die Ostschweizer Konjunktur zu Beginn des neuen Jahres verhalten. Nicht mehr alle Geschäftszweige sind gleichzeitig und in gleichem Masse von der Krise betroffen und einige Branchen haben sich an die neuen Herausforderungen angepasst. Die Aussichten hängen weiterhin von der unberechenbaren Entwicklung der Corona-Pandemie ab, insbesondere vom Impffortschritt. Eine sich allmählich erholende Weltwirtschaft dürfte sich auf die hiesigen, stark exportorientierten Unternehmen positiv auswirken.

Die vom Konjunkturboard Ostschweiz neu lancierten Konjunkturindizes unterstreichen die genannten Trends. «Sowohl der Geschäftslageindikator als auch der Stimmungsbarometer für die Kernregion Ostschweiz haben sich seit dem Frühjahr stark verbessert und im neutralen respektive leicht negativen Bereich stabilisiert», sagt Alessandro Sgro, Chefökonom der IHK St.Gallen-Appenzell. Caroline Hilb, Leiterin Anlagestrategie und Analyse St.Galler Kantonalbank, ergänzt: «Die Aussichten für die Ostschweizer Unternehmen werden auch von den Zinsen und der Frankenentwicklung beeinflusst. Beides wirkt stabilisierend, weil die Zinsen tief bleiben und die SNB weiterhin auf den Franken schaut». Dennoch deutet beim Stimmungsbarometer ein Wert unter 100 insgesamt eine eher unterdurchschnittliche wirtschaftliche Entwicklung an.

Nach einer deutlichen Erholung stabilisiert sich die Ostschweizer Wirtschaft auf tiefem Niveau Geschäftslageindikator und Stimmungsbarometer pendeln sich im neutralen Bereich ein

Druck auf den Arbeitsmarkt steigt

Die coronabedingten Erschwernisse zeigen sich auf breiter Basis in einer tieferen Nachfrage. Das hat Folgen für den Personalbestand. Aktuell beurteilen diesen viele Industrie- und Detailhandelsunternehmen als zu hoch und beabsichtigen die Anzahl Mitarbeitende zu reduzieren. Unklar ist über welchen Zeitraum. Weniger ausgeprägt ist der Druck im Baugewerbe.

«Trotz des über alle Branchen hinweg starken Drucks auf den Arbeitsmarkt ist aktuell nicht unmittelbar mit einer grösseren Kündigungswelle zu rechnen», sagt Alessandro Sgro und verweist dabei auch auf die Ergebnisse der jüngsten IHK-Unternehmensumfrage. Demnach rechnen knapp zwei Drittel der befragten Unternehmen im ersten Quartal 2021 nicht mit wirtschaftlich bedingten Kündigungen – dies nicht zuletzt dank den Regelungen im Bereich der Kurzarbeitsentschädigung. Trotzdem muss auch in der Kernregion Ostschweiz mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosenrate gerechnet werden. «Da der Arbeitsmarkt ein nachlaufender Indikator ist, ist es möglich, dass sich die Wirtschaft zu diesem Zeitpunkt bereits wieder erholt und die Arbeitslosenzahlen in der Folge wieder sinken», so Caroline Hilb.

Druck auf den Arbeitsmarkt in der Region St.Gallen-Appenzell steigt
Der Personalbestand wird aktuell in der Industrie wie auch im Detailhandel als zu hoch eingeschätzt

Finanzielle Hemmnisse und Investitionsverhalten

Je länger die Pandemie anhält, desto mehr zeigen sich die direkten wirtschaftlichen Folgen. Liquiditäts- und Finanzierungsengpässe sind mögliche Konsequenzen. Für die Mehrheit der befragten Industrie- sowie Bauunternehmen stellen finanzielle Hemmnisse in der Kernregion aber keine ausgeprägte Erschwernis dar. Hauptgründe dafür sind die staatlichen Unterstützungsmassnahmen wie die Covid-19-Kreditvergabe und Kurzarbeitsentschädigungen. Trotzdem ist in beiden Branchen eine gewisse Zurückhaltung im Investitionsverhalten sichtbar. Dazu sagt Caroline Hilb: «Mit den tiefen Zinsen und einem einfachen Zugang zu Krediten sind die Rahmenbedingungen für Investitionen gut, aber es braucht bessere Konjunkturaussichten, bevor die Investitionstätigkeit wieder Fahrt aufnimmt. Dafür sind der Impffortschritt und die Weltwirtschaft von grosser Bedeutung».

Ausblick mit hohen Unsicherheiten behaftet

Wann genau wieder ein spürbarer wirtschaftlicher Aufschwung einsetzt, ist aufgrund der aktuell von hoher Unsicherheit geprägten Lage schwer abzuschätzen. Trotzdem haben sich die Erwartungen zur Geschäftslage für die nächsten sechs Monaten gerade bei Industrieunternehmen stabilisiert. Ein ähnliches Bild zeigt sich im Baugewerbe. Ein hoher Auftragsbestand und das nach wie vor tiefe Zinsniveau wirken stabilisierend. Unternehmen im Baugewerbe sehen sich einem intensivierten Preiskampf ausgesetzt. Dieser ist allerdings mehr struktureller als konjunktureller Natur. Gänzlich eingetrübt haben sich die Aussichten im Detailhandel – insbesondere im stationären Bereich. Im Gegensatz dazu boomt der Onlinehandel. Generell und über alle Branchen hinweg gilt: «Innovative und im Digitalisierungsprozess fortgeschrittene Unternehmen kamen und kommen besser durch die Krise. Sie stehen für eine ganze Gruppe von Betrieben, die in der Corona-Pandemie ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt haben», ergänzt Alessandro Sgro.

Hohe Abhängigkeit vom Welthandel

Als stark exportorientierte Wirtschaftsregion können sich die Ostschweizer Unternehmen den Entwicklungen der Weltwirtschaft nicht entziehen und sind auch Teil dieses internationalen Wettbewerbs. Während die Nachfrage aus Asien und Nordamerika stabil ist, spüren die Unternehmen die Konjunkturflaute in den wichtigsten europäischen Märkten. Eine vollständige Erholung der Wirtschaft benötigt noch längere Zeit. Das Konjunkturboard geht in seinem Basisszenario von wiederholt auftretenden Infektionsherden aus, welche begleitet sind von gesundheitspolizeilichen Einschränkungen und wirtschaftspolitischen Massnahmen sowie einem stetigen Impffortschritt. Klar ist: Den Takt wird das Coronavirus vorgeben.

Die Unternehmen in der Kernregion Ostschweiz zeigen sich insgesamt erfreulicherweise robust sowie anpassungsfähig. Die Aussichten für die Ostschweizer Wirtschaft sind damit verhalten positiv. Die Ostschweizer Konjunktur wird im ersten und zweiten Quartal die Talsohle durchschreiten und spätestens im dritten Quartal 2021 von einem Nachholeffekt profitieren.

 

Rückfragen

Alessandro Sgro, Chefökonom, IHK St.Gallen-Appenzell
alessandro.sgroatkonjunkturboard.ch, Tel. 071 224 10 15

Caroline Hilb Paraskevopoulos, Leiterin Anlagestrategie und Analyse, St.Galler Kantonalbank
caroline.hilbatkonjunkturboard.ch, Tel. 044 214 34 29

Konjunkturboard Ostschweiz

Das Konjunkturboard Ostschweiz beurteilt quartalsweise die konjunkturelle Entwicklung der Ostschweizer Wirtschaft in den Hauptbranchen Industrie, Detailhandel, Dienstleistungen und Bau. Das Fachgremium übernimmt damit die langjährige Arbeit von Peter Eisenhut (Ecopol AG) als regionaler Partner der Konjunkturforschungsstelle KOF ETH Zürich und baut diese stark aus. So wird neu die gesamte Kernregion Ostschweiz mit allen vier Kantonen (St.Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden und Thurgau) analysiert und kommentiert. Erstmals wird die konjunkturelle Entwicklung über den gesamten funktionalen Wirtschaftsraum durchgeführt. Einsitz im Konjunkturboard nehmen von Seiten der IHK St.Gallen-Appenzell Alessandro Sgro, Chefökonom IHK, Jan Riss, wissenschaftlicher Mitarbeiter IHK, von Seiten der St.Galler Kantonalbank Caroline Hilb Paraskevopoulos, Leiterin Anlagestrategie und Analyse SGKB sowie Beat Schiffhauer, Senior Konjunktur- und Finanzexperte SGKB. Die Ökonomin und die drei Ökonomen kommentieren quartalsweise die Konjunkturlage in der Ostschweiz und bringen diese in den nationalen und globalen Kontext. Ergänzt wird das Gremium um Jérôme Müggler, Direktor IHK Thurgau sowie Karin Jung, Leiterin Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons St.Gallen. Diese breite Kombination bündelt verschiedene Kompetenzen und ermöglicht eine ganzheitliche sowie konsistente Einschätzung zur konjunkturellen Entwicklung in der Region.

Die Resultate und Analysen der aktuellen Umfrage können auf der neuen Plattform www.konjunkturboard.ch abgerufen werden. Hier finden sich zudem Kontaktinformationen der jeweiligen Konjunkturboard-Mitglieder.

Konjunkturindizes für die Kernregion Ostschweiz

Um auf schnelle, aber präzise Art und Weise ein systematisches Bild über die Verfassung der Ostschweizer Wirtschaft zu erhalten, sind gesamtwirtschaftliche Konjunkturindizes zentral. Für die Kernregion Ostschweiz stehen neu zwei Indizes zur Verfügung: Geschäftslageindikator und Stimmungsbarometer.

Der Geschäftslageindikator basiert auf monatlich oder quartalsweisen Unternehmensbefra­gungen der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich zur aktuellen Einschätzung der Geschäftslage. Dabei geben die befragten Unternehmen ihre Einschätzung mit «gut», «befriedigend» oder «schlecht» an. Der Saldowert zwischen «gut» und «schlecht» – also die Differenz der Prozentanteile – widerspiegelt die aktuelle Geschäftslage. Je höher dieser ist, desto besser schätzen die Unternehmen die aktuelle Geschäftslage ein. Die Aggregation der branchenspezifischen Beurteilung der Geschäftslage ergibt den Geschäftslageindikator.

Der Stimmungsbarometer ist ein breit angelegter Indikator, der die Stimmung in Unternehmen und privaten Haushalten misst und dient dazu, das BIP-Wachstum zu verfolgen. Ein Wert über 100 deutet auf eine überdurchschnittliche wirtschaftliche Einschätzung hin, während Werte unter 100 eine unterdurchschnittliche Einschätzung signalisieren. Der Stimmungsbarometer ist so standardisiert, dass er meistens zwischen 90 und 110 Punkten liegt.

Die beiden Indikatoren werden gemeinsam von der IHK St.Gallen-Appenzell und der St.Galler Kantonalbank erhoben. Diese werden mit der gleichen Methodik berechnet wie die gesamtschweizerischen Indikatoren der KOF.

Die jeweiligen Konjunkturindizes können auf www.konjunkturboard.ch abgerufen werden. Sie werden monatlich aktualisiert.